
ESG und CSRD Reporting
22. September 2025Warum Gully-Filter das Mikroplastik-Problem nicht lösen können: Eine kritische Wirtschaftlichkeits- und Wirksamkeitsanalyse
Trotz vielversprechender Laborergebnisse stellen Urban- bzw. Gully-Filter keine nachhaltige Lösung für das Mikroplastik-Problem dar. Eine umfassende wissenschaftliche Analyse zeigt: Die Kosten sind exorbitant hoch, während nur ein Bruchteil des tatsächlichen Mikroplastik-Eintrags erfasst wird. Der Großteil der Verschmutzung erfolgt über andere Transportwege, die Filter völlig unberührt lassen.
Das Konzept der Gullydeckelfilter und deren Anwendung
Gully-Filter, auch als „Urbanfilter" bezeichnet, sind mehrstufige Filtersysteme, die in Straßenabläufen installiert werden, um Mikroplastik und andere Schadstoffe aus dem Regenwasser zu filtern, bevor sie in die Kanalisation gelangen. Aktuelle wissenschaftliche Studien belegen, was der gesunde Menschenverstand bereits vermutete: Die wichtigsten Entstehungsorte für Reifenabrieb sind verkehrsreiche Kreuzungen, Ampeln und Kurven, wobei Kreuzungen aufgrund der höheren mechanischen Belastung deutlich mehr belastet sind als reine Ampelkreuzungen.
Kritische Erkenntnisse zur Mikroplastik-Verteilung
Die wissenschaftliche Evidenz zur Verteilung von Reifenabriebpartikeln in der Umwelt zeichnet ein ernüchterndes Bild für die Wirksamkeit von Gully-Filtern. Untersuchungen zeigen, dass etwa 60 Prozent des Reifenabriebs direkt in Böden gelangen, während nur 20 Prozent über Oberflächengewässer transportiert werden.
Neuere Studien der TU Berlin präzisieren diese Zahlen: Lediglich 12 bis 20 Prozent des Reifenabriebs landen in Oberflächengewässern – und das auch nur bei Niederschlagsereignissen.
Diese Erkenntnisse bedeuten im Umkehrschluss, dass Gully-Filter maximal 12-20% der Mikroplastik-Emissionen erfassen können. Die überwiegende Mehrheit (80%) wird durch atmosphärischen Transport, Winderosion und andere physikalische Mechanismen verbreitet und erreicht die Filtersysteme niemals.

Mikroplastik in der Atmosphäre © Wasser 3.0
Zusammensetzung und Komplexität des Straßenkehrichts
Straßenkehricht stellt eine komplexe Mischung verschiedener Schadstoffe dar, die weit über Mikroplastik hinausgeht. Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass Schwermetalle wie Zink, Kupfer und Blei zwischen 77-91% des partikulären Anteils ausmachen und hauptsächlich aus Reifenabrieb, Bremsbelägen und Fahrzeugkorrosion stammen. Zusätzlich finden sich organische Schadstoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) aus Verbrennungsprozessen sowie weitere Komponenten wie Mineralöle, Kraftstoffrückstände und Streusalz.
PKW-Reifen sind für 88% der Reifenabriebe verantwortlich, LKW-Reifen für weitere 8%. Durchschnittlich fallen in Deutschland 13 kg Straßenkehricht pro Einwohner und Jahr an, was verdeutlicht, dass Mikroplastik nur einen Teil eines wesentlich größeren Verschmutzungsproblems darstellt. Studien zur Effizienz von Kehrmaschinen zeigen, dass selbst unter optimalen Bedingungen bis zu 80 Prozent der größeren Partikel erfasst werden, während von den Kleinstteilen nur etwa 55 Prozent entfernt werden können.
Wirtschaftlichkeitsanalyse: Exorbitante Kosten für minimalen Nutzen
Während konkrete Zahlen zur Gesamtzahl der Gullideckel in Deutschland nicht verfügbar sind, lassen sich basierend auf der Straßeninfrastruktur realistische Schätzungen ableiten. Deutschland verfügt über ein ausgedehntes Straßennetz von mehreren hunderttausend Kilometern. In städtischen Gebieten ist durchschnittlich ein Gully pro 30-50 Meter zu erwarten, was zu einer Gesamtschätzung von mehreren Millionen Gullideckeln deutschlandweit führt.
Für eine realistische Wirtschaftlichkeitsbetrachtung müssen sowohl Installations- als auch Wartungskosten berücksichtigt werden. Vergleichbare Infrastruktur-Filtersysteme verursachen Installationskosten von 2.000-5.000€ pro Filter und jährliche Wartungskosten von 200-500€. Dabei ist zu beachten, dass die Module mindestens einmal jährlich gereinigt werden müssen, um ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten.
Ein kritisches Rechenbeispiel für lediglich 100.000 Filter verdeutlicht die Dimensionen: Die Initialinvestition würde 200-500 Millionen Euro betragen, bei jährlichen Wartungskosten von 20-50 Millionen Euro. Über einen Zeitraum von 20 Jahren ergäben sich Gesamtkosten von 600 Milliarden bis 1,5 Billionen Euro.
Tatsächlicher Nutzen vs. Aufwand
Aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen, dass maximal 12-20% von geschätzten 60.000-100.000 Tonnen jährlich emittierten Mikroplastiks überhaupt die Gullys erreichen. Dies entspricht 7.200-20.000 Tonnen pro Jahr. Filterstudien belegen, dass selbst hocheffiziente Systeme nur etwa 66% der eingehenden Mikroplastiks tatsächlich zurückhalten können. Somit würden real nur 4.750-13.200 Tonnen jährlich erfasst.
Die Kosten pro vermiedene Tonne Mikroplastik lägen somit bei 45.000-126.000 Euro jährlich – eine Summe, die die Unwirtschaftlichkeit des Ansatzes deutlich unterstreicht.
Technische Limitationen und Systemversagen
Wissenschaftliche Untersuchungen zu Regenwasser-Behandlungssystemen zeigen weitere kritische Probleme auf: Gerade bei Starkregen, wenn die höchsten Mikroplastik-Frachten auftreten, versagen die Systeme aufgrund von Überlastung. Die notwendige Wartung von Millionen Filtern stellt einen logistischen Alptraum dar, während die Entsorgung der gesammelten, kontaminierten Filtermaterialien zusätzliche Umweltprobleme schafft.
Alternative Behandlungsansätze und deren Effizienz
Aktuelle Forschung zu alternativen Regenwasser-Behandlungsmethoden zeigt vielversprechendere Ansätze auf. Bioretentions-Systeme erreichen Entfernungseffizienzen von 84-96% für Mikroplastik, während konstruierte Feuchtgebiete immerhin 28-55% erzielen können. Spezielle Filtermaterialien wie Biokohle und Rinde zeigen in Laborversuchen Entfernungsraten von über 97% für verschiedene Mikroplastik-Typen.
Wissenschaftliches Fazit: Systemische Probleme brauchen systemische Lösungen
Eine umfassende wissenschaftliche Bewertung von über 500 analysierten Fachpublikationen klassifiziert Gully-Filter als klassisches Beispiel für End-of-Pipe-Technologie – kostenintensiv, ineffizient und lediglich symptomatisch wirkend. Die Forschung zeigt eindeutig, dass eine nachhaltige Lösung des Mikroplastik-Problems systemische Ansätze erfordert.
Aktuelle wissenschaftliche Übersichtsarbeiten identifizieren mehrere vielversprechende systemische Lösungsansätze: Die Entwicklung abriebresistenterer Reifenmaterialien zeigt bereits erste Erfolge in der Reduktion von Partikelemissionen. Fahrzeugoptimierung durch leichtere, effizientere Konstruktionen kann die mechanische Belastung der Reifen signifikant reduzieren. Verkehrspolitische Maßnahmen wie Tempolimits und Verkehrsberuhigung haben sich als kosteneffiziente Methoden zur Emissionsreduktion erwiesen.
Der Ausbau alternativer Mobilität durch verbesserte öffentliche Verkehrssysteme und Radinfrastruktur bietet das größte Potenzial für langfristige Emissionsreduktionen. Studien zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen zeigen, dass eine Kombination aus technischen Verbesserungen und verkehrspolitischen Maßnahmen deutlich kosteneffektiver ist als nachgelagerte Filtrationslösungen.
Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Anstelle kostspieliger und ineffizienter Gully-Filter-Systeme sollten Ressourcen in präventive, systemische Maßnahmen investiert werden, die das Problem an seiner Quelle angehen und nachweislich größere Umweltauswirkungen bei geringeren Gesamtkosten erzielen können.