
AFS 63 und Mikroplastik-Analytik
29. September 2025Ocean Bound Plastics: Zwischen Marketing-Mythos und ökologischer Realität
Es folgt eine kritische wissenschaftliche Analyse sowie evidenzbasierte Untersuchung zu Ocean Bound Plastics, Recycling-Produkten und Neukunststoffen (virgin plastics) - jenseits der Marketing-Rhetorik.
Die Kernthese vorab: Ocean Bound Plastics ist primär ein Marketing-Instrument, kein ökologischer Gamechanger
„Ocean Bound Plastics“ (OBP) wird als Lösung für die Plastikkrise vermarktet, doch die wissenschaftlichen Fakten zeichnen ein ernüchterndes Bild. Dieser Beitrag entlarvt Marketing-Fallen, analysiert die tatsächlichen ökologischen Auswirkungen und zeigt auf, wie eine echte Transformation der Plastikwirtschaft aussehen muss.
Was ist Ocean Bound Plastics wirklich?
„Ocean Bound Plastics“ wurde 2015 von Dr. Jenna Jambeck und Kolleg:innen in der Fachzeitschrift "Science" definiert als "unsachgemäß entsorgter Plastikmüll, der von Bevölkerungsgruppen erzeugt wird, die 50 km vor einer Küste leben und der potenziell als Meeresmüll in den Ozean gelangen kann."
Das meiste als "Ocean Bound" beworbene Plastik stammt nicht aus dem Meer, sondern aus Küstenregionen - bevor es überhaupt ins Meer gelangt ist.
Und damit öffnet sich das Marketing-Loch, denn entgegen der Annahme vieler handelt es sich bei Ocean Bound Plastics eben nicht um Plastikmüll aus den Weltmeeren. Genau dies suggerieren aber die meisten Hersteller durch geschickte Werbefotos und Videoclips. Große Konzerne wie Adidas und Coca-Cola nutzen diese Begriffsverwirrung systematisch aus.

Übersicht über die häufigsten Plastikmüll-Arten in Binnengewässern © Wasser 3.0
Was unterscheidet Ocean Bound Plastic und Ocean Plastic?
Ocean Bound Plastic (meeresgebundener Kunststoff):
- Plastikmüll, der sich noch an Land befindet, aber Gefahr läuft, ins Meer zu gelangen
- Meist Abfall in einem Umkreis von etwa 50 km zur Küste oder zu Wasserwegen
- Befindet sich oft in Gebieten mit unzureichender Abfallwirtschaft
- Kann noch gesammelt und recycelt werden, bevor er die Ozeane erreicht
- Wird häufig in Recycling-Programmen eingesetzt, um Meeresumweltverschmutzung zu verhindern
Ocean Plastic (Meeresplastik):
- Plastikmüll, der bereits in marine Umgebungen gelangt ist
- Schwimmt im Meer, liegt am Meeresboden oder wurde an Strände gespült
- Oft durch Salzwasser, UV-Strahlung und mechanische Einwirkung geschädigt
- Schwieriger zu sammeln und zu recyceln aufgrund der Degradation und Kontamination
- Umfasst auch Mikroplastik, das durch Zersetzung entstanden ist
Der Hauptunterschied liegt also darin, dass Ocean Bound Plastic präventiv gesammelt wird, um zu verhindern, dass es zu Ocean Plastic wird. Ocean Bound Plastic ist daher meist in besserem Zustand und eignet sich potentiell besser für Recycling-Prozesse.
Bei den harten Fakten schneidet Ocean Bound Plastic schlechter ab als konventionelles Recycling: Einblicke ins Life Cycle Assessment (LCA)
Wissenschaftliche LCA-Studien der Association of Plastic Recyclers zeigen klare Vorteile für recyceltes Plastik: Recyceltes PET benötigt nur 24 % der Gesamtenergie von Virgin PET und verursacht nur 41 % der Treibhausgasemissionen.
Konkrete Zahlen (pro kg Plastik):
- Virgin PET: 61,4 MJ Energie, 2,23 kg CO2-Äquivalent
- Recyceltes PET: 14,8 MJ Energie, 0,91 kg CO2-Äquivalent
- Virgin HDPE: 75,3 MJ Energie, 1,89 kg CO2-Äquivalent
- Recyceltes HDPE: 8,7 MJ Energie, 0,56 kg CO2-Äquivalent
Darüber hinaus zeigen weitere wissenschaftliche Analysen, dass eine Verwertung des Mülls als Rohstoff sinnvoll kaum machbar ist. Eine Tonne Müll so aufzubereiten, dass sie als Rohstoff weiterverarbeitet werden kann, kostet 20.000 Euro. In der Praxis ist das weder rentabel noch ökologisch sinnvoll. Bei vielen Meeresplastik-Artikeln dürfte die Energie- und Umweltbilanz wegen des Recyclingprozesses wohl schlecht ausfallen.
Würde man eine seriöse Ökobilanz machen, dann wäre diese bei Kleidung aus 100 % Recycling-Material verheerend.
Und das passiert: Marketing-Fallen und inkorrekte Kommunikation entlarvt
Greenwashing-Technik 1: Begriffsverwirrung
Adidas nutzt hier eine klassische Greenwashing-Technik, indem es Aussagen aufstellt, für die es dann keine Beweise nachliefert. Auf Nachfrage gibt der Konzern dann auch zu, dass das Plastik von Stränden und Küstenregionen stammt und dort recycelt wurde, bevor es in den Ozean gelangen konnte.
Greenwashing-Technik 2: Ablenkungsmanöver
Coca-Cola hat 2019 verkündet, dass seine Einwegflaschen künftig zu 25 % aus Meeresplastik bestehen sollen. Das soll jedoch von der Tatsache ablenken, dass Coca-Cola der weltweit größte Verursacher von Verpackungsmüll ist. Das Unternehmen allein ist jährlich für mehr als 3 Millionen Tonnen Kunststoffprodukte verantwortlich.
Die Realität: Minimaler tatsächlicher Meeresplastik-Anteil
Kleidung komplett aus Geisternetzen oder Meeresmüll gibt es nicht. Im Materialmix können sie lediglich in geringem Anteil enthalten sein. Anders als die Werbung verspricht, beseitigen wir mit unserem Kauf kaum Müll aus den Meeren, weil Geisternetze schwer zu bergen und zu recyceln sind.
Warum ist Ocean Bound Plastics so extrem teuer?
- Komplexer Sammelprozess:
- Sammlung in abgelegenen Küstenregionen
- Manuelle Sortierung verschiedener Plastikarten
- Transport aus schwer zugänglichen Gebieten
- Aufwendige Aufbereitung:
- Entfernung von Salz, Sand und biologischen Rückständen
- Sortierung stark degradierter Materialien
- Komplexe Reinigungsprozesse
- Geringe Materialqualität: Das gesammelte Material ist oft stark degradiert und nur für minderwertige Anwendungen geeignet.
Vergleicht man die Kostenvergleich pro Tonne verarbeitetes PET so zeigt sich das gesamte Dilemma:
- neu: 1.100 - 1.300 Euro / Tonne (2024)
- konventionell recycelt: 1.250 - 1.300 Euro / Tonne (Flakes, 2024)
- Ocean Bound Plastics: 15.000 - 20.000 Euro / Tonne (2022)
Ein Beispiel: Die Produktionskosten eines simplen Brieföffners aus Ocean Plastics werden auf 200 Euro geschätzt.
Ansatzpunkte zur echten Transformation: EU Circular Economy als Vorbild mit systemischen Ansätze statt Symptombekämpfung
Die EU-Strategie für Kunststoffe in einer Kreislaufwirtschaft verfolgt einen ambitionierten Ansatz für die Recyclingfähigkeit von Kunststoffverpackungen und enthält eine starke Antwort auf Mikroplastik, das eine bedeutende Quelle der Meeresverschmutzung darstellt. Zu den konkreten Transformation-Strategien zählen:
- Design for Circularity
Bis 2030 sollen alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt entweder wiederverwendbar oder kosteneffizient recycelbar sein.
- Extended Producer Responsibility (EPR)
EPR-Systeme verpflichten Hersteller zur Verantwortung über den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte.
- Vermeidung vor Recycling
Das Grundproblem ist, dass zu viel hergestellt und weggeschmissen wird. 40 % der Kleidung wird zum Wegwerfen produziert, weil es billiger ist, als zu höheren Stückkosten weniger herzustellen.
Die ernüchternde Bilanz aus dem Ocean Bound Hack
Ocean Bound Plastics sind nicht die ökologische Revolution, als die sie vermarktet werdend. Die wissenschaftlichen Daten zeigen:
- Energiebilanz: 10 bis 20-mal schlechter als konventionelles Recycling
- Kosten: 20 bis 25-mal teurer als Neukunststoffe
- Verfügbarkeit: Tatsächliches Meeresplastik praktisch nicht recycelbar
- Greenwashing-Risiko: Extrem hoch
Echte Veränderung erfordert eine Kreislaufwirtschaft – systemische Maßnahmen und langfristige Lösungen statt kurzfristiger Konsumstrategien. Wir brauchen mehr Prioritäten für eine echte Plastik-Transformation:
- Drastische Reduktion der Plastikproduktion (besonders Einwegprodukte)
- Design for Circularity mit verpflichtenden Standards
- Massive Investitionen in mechanisches Recycling für sortenreine Ströme
- Extended Producer Responsibility mit vollständiger Kostenüberwälzung
- Ocean Bound Plastics nur als Nischenlösung mit transparenter Ökobilanzierung
Ocean Bound Plastics löst nicht die Plastikkrise - sie verlängern sie durch Greenwashing und Ablenkung von systemischen Lösungen. Die Zukunft liegt nicht im aufwendigen Recycling von Meeresplastik, sondern in der drastischen Reduktion von Plastikproduktion und dem Aufbau echter Kreislaufwirtschaft.
Wer echten Klimaschutz will, muss Ocean Bound Plastics als das sehen, was es ist: Ein teures Marketing-Instrument, das von den notwendigen systemischen Veränderungen ablenkt.