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20. September 2025Organische Phosphonate in Waschmitteln: Eine unerkannte Quelle für Glyphosat und Störfaktor in der Abwasserreinigung
Die Kontamination europäischer Gewässer mit Glyphosat und seinem Abbauprodukt AMPA (Aminomethylphosphonsäure) wurde bisher ausschließlich dem Einsatz des Herbizids in der Landwirtschaft zugeschrieben. Doch aktuelle Forschungsergebnisse zeigen ein völlig anderes Bild: Ein Großteil der Glyphosat-Belastung in europäischen Flüssen stammt möglicherweise nicht aus der Herbizid-Anwendung, sondern aus einer völlig unerwarteten Quelle – organischen Phosphonaten in Waschmitteln.
Was sind organische Phosphonate?
Organische Phosphonate sind synthetische Komplexbildner, die eine stabile Kohlenstoff-Phosphor-Bindung enthalten. Die wichtigsten Vertreter sind:
- DTPMP (Diethylentriaminpenta(methylenphosphonat)) – das mengenmäßig bedeutsamste
- EDTMP (Ethylendiamintetra(methylenphosphonat))
- ATMP (Aminotris(methylenphosphonat))
Diese Verbindungen werden in Europa in enormen Mengen eingesetzt: 49.000 Tonnen pro Jahr (Stand 2012), davon allein 7.613 Tonnen in deutschen Haushaltsreinigern (2019). Sie dienen als Komplexbildner für Calcium- und Magnesium-Ionen und verhindern so Kalkablagerungen in Waschmaschinen und Rohrleitungen.
Der Transformationsmechanismus: Wie aus Waschmittel-Zusätzen Glyphosat wird und der Schlüsselfaktor Mangan
Eine bahnbrechende Studie der Universität Tübingen konnte 2025 erstmals experimentell nachweisen, dass DTPMP durch Reaktion mit Mangan bei neutralem pH-Wert zu Glyphosat transformiert wird. Sowohl gelöstes Mn²⁺ mit Sauerstoff als auch suspendierte Manganoxide (MnO₂) führen zur Glyphosat-Bildung.
Die Reaktion erfolgt über mehrere Stufen:
- C-N-Bindungsspaltung in der Ethylen-Einheit des DTPMP-Moleküls
- Oxidation der terminalen Kohlenstoff-Gruppe zum Aldehyd
- Weitere Oxidation zur Carbonsäure, wodurch die für Glyphosat charakteristische Struktur entsteht
Die Glyphosat-Ausbeuten sind zwar gering (bis zu 0,42 Mol-%), aber bei den enormen Mengen an verbrauchten Phosphonaten durchaus relevant. Bemerkenswert ist, dass Glyphosat und AMPA nach vollständiger DTPMP-Transformation stabil bleiben und nicht weiter abgebaut werden.
Bildung von AMPA: Ein persistenter Metabolit
AMPA entsteht auf zwei Wegen:
- Als Abbauprodukt von Glyphosat (traditioneller Weg)
- Direkt aus Phosphonaten durch zwei C-N-Bindungsspaltungen
AMPA ist deutlich persistenter als Glyphosat mit einer Halbwertszeit von 119 bis 985 Tagen. In städtischen Gebieten stammt AMPA hauptsächlich aus Phosphonaten und Glyphosat im Abwasser und wird regelmäßig in Kläranlagen-Abläufen nachgewiesen.
Auswirkungen auf die Wasserqualität: Eutrophierung durch Phosphatfreisetzung und toxikologische Bedenken
Obwohl Phosphonate gegen biologischen Abbau sehr stabil sind, tragen sie zur Eutrophierung bei durch:
- Photolytischen Abbau unter UV-Strahlung, der Orthophosphat freisetzt
- Mangankatalysierte Oxidation, die ebenfalls zu Phosphatbildung führt
- Langfristige abiotische Degradation in Oberflächengewässern
Die verzögerte Phosphatfreisetzung kann die Eutrophierung fördern und ist besonders problematisch, da sie schwer vorhersagbar ist.
Während die Phosphonate selbst als moderat toxisch für Wasserorganismen gelten, werden ihre Abbauprodukte als besonders kritisch eingestuft:
- Glyphosat: Kontrovers diskutiertes Herbizid mit möglichen gesundheitlichen Risiken
- AMPA: Mangel an epidemiologischen Daten über toxikologische Effekte beim Menschen
Interferenz mit Phosphatfällung in Kläranlagen durch Komplexierung der Fällmittel
Phosphonate können als Komplexbildner die Fällmittel binden und so die Phosphatfällung in Kläranlagen erheblich stören:
- Erhöhter Chemikalienbedarf: Fällmittel müssen in großem Überschuss dosiert werden
- pH-Verschiebungen: Durch Versauerung kann die Nitrifikation beeinträchtigt werden
- Mangel an bioverfügbarem Phosphat: Für biologische Prozesse wichtige Phosphatverbindungen werden komplexiert
Beeinträchtigung moderner Verfahren
Die Enhanced Biological Phosphorus Removal (EBPR) kann durch Phosphonate besonders beeinträchtigt werden, da diese Verfahren auf der präzisen Steuerung der Phosphatverfügbarkeit basieren. Phosphonate mit hohen Konzentrationen können Phosphatfällungsprozesse erheblich stören.
Entfernung in Kläranlagen: Hohe Entfernungsraten durch Adsorption
Trotz ihrer biologischen Persistenz werden Phosphonate in Kläranlagen mit Entfernungsraten von über 80% eliminiert. Die Hauptmechanismen sind:
- Adsorption an Belebtschlamm: Besonders an amorphe Eisenoxide im Schlamm
- Komplexierung mit Metallionen: pH-abhängige Bindung an Calcium und Magnesium
- Chemische Fällung: Bei Anwesenheit von Fällmitteln wie Eisen- oder Aluminiumsalzen
Problemfeld: Anreicherung im Klärschlamm
Eine Studie in Textil-Kläranlagen fand erhebliche Anreicherungen von Phosphonaten im entwässerten Schlamm (bis zu 7,81 g/kg). Dies wirft Fragen zur Klärschlammverwertung und möglichen Umweltrisiken auf.
Analytische Herausforderungen
Die schwierige Analytik von Phosphonaten in Spurenkonzentrationen hat lange dazu beigetragen, dass ihr Umweltverhalten wenig erforscht war:
- Methodenentwicklung: 2021 führte das Umweltbundesamt Studien zur Verbesserung der Analysemethoden durch
- Matrixeffekte: Komplexe Abwassermatrices erschweren die Quantifizierung
- Speziierung: Unterscheidung zwischen verschiedenen Phosphonat-Spezies notwendig
Innovative Entfernungsverfahren
Elektrochemische Verfahren können Phosphonate direkt zu Orthophosphat oxidieren und dieses gleichzeitig als Calciumphosphat ausfällen. Dies ermöglicht sowohl Entfernung als auch Phosphor-Rückgewinnung.
UV/H₂O₂-Behandlung wurde als vielversprechender Ansatz für die Phosphonat-Entfernung untersucht, zeigt jedoch begrenzte Effizienz im Vergleich zu anderen AOPsHYPERLINK "https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2214714423003252"UV/H, während kombinierte Verfahren deutlich effektiver sind., während kombinierte Verfahren deutlich effektiver sind.
UV/Chlor-Systeme erweisen sich als deutlich effizienter als UV/H₂O₂ für die Phosphonat-Degradation. Bei HEDP-Behandlung zeigte UV/Chlor höhere Abbauleistungen bei geringeren Oxidationsmittel-Konzentrationen (0,1-0,5 mM). Der Prozess erzeugt sowohl Hydroxyl-Radikale (•OH) als auch reaktive Chlorspezies (RCS).
UV/Persulfat-Aktivierung zeigt hervorragende Ergebnisse für stickstoffhaltige Phosphonate wie NTMP und DTPMP. Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten sind hoch (k(SO₄•⁻) = 10⁷-10⁸ M⁻¹s⁻¹), und der Prozess ist pH-unabhängiger als Ozonierung.
Optimierungsaspekte: Die Effizienz von AOPs hängt stark von Betriebsparametern ab:
- pH-Wert: Ozonierung zeigt starke pH-Abhängigkeit, während Radikal-basierte Prozesse stabiler sind
- Matrixeffekte: Reale Abwässer reduzieren die Effizienz durch Radikalfänger und Konkurrenzreaktionen
- Energiebedarf: UV-LEDs als Alternative zu Quecksilberlampen können den Energieverbrauch reduzieren
Spezielle Filtermaterialien wie Polonite können Phosphonate durch Sorptionsprozesse gezielt entfernen, auch wenn sie ursprünglich für Phosphat entwickelt wurden.
Umweltimplikationen und Zukunftsperspektiven: Wir brauchen eine Neubewertung der Glyphosat-Quellen
Die Entdeckung der Phosphonat-Glyphosat-Transformation erfordert eine Neubewertung der Strategien zum Gewässerschutz:
- Regulatorische Konsequenzen: Möglicherweise sind Beschränkungen der Herbizid-Anwendung allein nicht ausreichend
- Industrielle Verantwortung: Waschmittelhersteller müssen alternative Komplexbildner entwickeln
- Verbraucherverhalten: Bewusstsein für versteckte Quellen der Gewässerbelastung schaffen
Es braucht weitere, insbesondere vergleichende Forschung, die das komplexe Umweltproblem neu betrachtet
Weitere Untersuchungen sind dringend erforderlich:
- Feldstudien: Quantifizierung der Glyphosat-Bildung in realen Kläranlagen
- Intermediat-Identifikation: Aufklärung der vollständigen Reaktionswege
- Alternative Komplexbildner: Entwicklung umweltverträglicherer Ersatzstoffe
Die Erkenntnis, dass Waschmittel-Zusätze zu Glyphosat transformieren können, stellt unser Verständnis der Gewässerbelastung auf den Kopf. Organische Phosphonate erweisen sich als multifaktorielle Umweltproblematik:
- Sie interferieren mit der Abwasserreinigung durch Komplexierung von Fällmitteln
- Sie tragen zur Eutrophierung bei durch verzögerte Phosphatfreisetzung
- Sie bilden toxikologisch bedenkliche Abbauprodukte wie Glyphosat und AMPA
- Sie reichern sich im Klärschlamm an mit unklaren Langzeitfolgen
Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes beim Gewässerschutz, der nicht nur offensichtliche Quellen wie Pestizide, sondern auch versteckte Kontaminationsquellen aus Alltagsprodukten berücksichtigt. Die Entwicklung von Alternativen zu Phosphonaten und verbesserte Entfernungsverfahren in Kläranlagen sind dringend erforderlich, um die Qualität unserer Gewässer langfristig zu sichern.