
Mikroplastik und Zero Liquid Discharge
30. Oktober 2025Mikroplastik und Patientengesundheit: Was Mediziner und Patienten wissen sollten
Mikroplastik und Nanoplastik sind längst nicht mehr nur ein Umweltproblem – sie haben ihren Weg in die Zentren der modernen Medizin gefunden. Aktuelle Studien belegen, dass Dialysepatienten einer kontinuierlichen und erheblichen Mikroplastik-Exposition ausgesetzt sind, während Intensivpatienten dramatisch erhöhte Konzentrationen toxischer Chemikalien durch medizinische Kunststoffprodukte aufweisen.
Dialysepatienten: Die am stärksten betroffene Gruppe
Eine bahnbrechende Studie aus dem Jahr 2025 untersuchte erstmals systematisch die Mikroplastik-Kontamination in Dialyselösungen. Die Ergebnisse zeigen, dass Mikroplastik in allen getesteten Dialyselösungen nachgewiesen wurde, wobei Polyethylen (PE), Polyvinylchlorid (PVC) und Ethylen-Vinylacetat (EVA) die vorherrschenden Polymere darstellten.
Die Expositionsdaten sind alarmierend:
- Hämodialyse-Patienten: 9,57 ± 5,28 Mikroplastikpartikel pro Woche
- Peritonealdialyse-Patienten: 14,28 ± 0,84 Mikroplastikpartikel pro Woche (50% höhere Exposition)
Forschung schätzt, dass bei einer Filtrationseffizienz von 99% für Mikroplastik zwischen 0,0021 und 3768 Partikel pro Woche in die Nieren von Dialysepatienten eindringen können. Diese kontinuierliche Exposition ist besonders besorgniserregend, da Dialysepatienten wöchentlich 300-600 Liter Wasser verwenden, das mit Mikroplastik kontaminiert sein kann.
Zusätzlich zeigen Studien, dass Dialysepatienten, sowohl Männer als auch Frauen, höhere Mikroplastik-Exposition im Vergleich zu nicht-dialysierten Patienten aufweisen.
Phthalat-Exposition durch medizinische Geräte
Parallel zur Mikroplastik-Problematik zeigt eine umfassende Untersuchung von 72 medizinischen Einwegprodukten dramatische Variationen in der Freisetzung von Phthalaten – Weichmachern, die in Kunststoffen verwendet werden.
Die Gesamtphthalat-Konzentration, die aus medizinischen Produkten austrat, reichte von 0,04 bis 54.600 μg, wobei DEHP (Di(2-ethylhexyl)phthalat – ein häufig verwendeter Weichmacher) in 99% der analysierten Proben der Hauptphthalat war. Besonders besorgniserregend: DEHP wurde auch in erheblichen Konzentrationen in Produkten gefunden, die als "DEHP-frei" beworben wurden.
Hauptquellen der Exposition:
- Beatmungsgeräte: Median von 6.560 μg freigesetztes DEHP
- Intensivstationen: Patienten zeigen kontinuierliche Exposition gegenüber DEHP und BPA (Bisphenol A – ein Grundbaustein für Kunststoffe)
- Medizinische Schläuche: Bis zu 730 μg/kg Körpergewicht/Tag bei Neugeborenen
Kardiovaskuläre Risiken: Der Beweis für direkte Gesundheitsschäden
Die vielleicht brisanteste Entdeckung der jüngsten Forschung stammt aus einer Studie im New England Journal of Medicine. Patienten mit Karotisarterien-Plaques, in denen Mikroplastik und Nanoplastik nachgewiesen wurden, hatten ein höheres Risiko für einen zusammengesetzten Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod aus jeder Ursache bei einer 34-monatigen Nachbeobachtung.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache:
- Polyethylen wurde in Karotisarterien-Plaques von 150 Patienten (58,4%) nachgewiesen, mit einem mittleren Wert von 21,7±24,5 μg pro Milligramm Plaque
- Patienten mit nachgewiesenen Mikroplastik hatten ein 4,53-fach höheres Risiko für die primären Endpunkte
Diese Studie liefert erstmals direkten klinischen Beweis dafür, dass Mikroplastik nicht nur ein theoretisches Risiko darstellt, sondern messbare negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat.
Die volkswirtschaftliche Dimension
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Plastik-Chemikalien haben auch eine massive wirtschaftliche Komponente. Eine 2024 veröffentlichte Analyse schätzt, dass die Beseitigung der BPA- und DEHP-Exposition in Ländern mit einem Drittel der Weltbevölkerung etwa 600.000 Leben gerettet hätte.
Die geschätzten Gesundheitskosten für 2015:
- BPA-Exposition: 5,4 Millionen Fälle ischämischer Herzkrankheit und 346.000 Schlaganfälle (BPA = Bisphenol A, verwendet in Konservendosen und Plastikflaschen)
- DEHP-Exposition: Etwa 164.000 Todesfälle bei 55- bis 64-Jährigen (DEHP = Di(2-ethylhexyl)phthalat, Weichmacher in medizinischen Geräten)
- Gesamtkosten: 1,5 Billionen US-Dollar Kaufkraftparität
Zusätzlich zeigen Studien, dass Frauen mit höheren PFOS-Werten im Blut ein doppelt so hohes Risiko hatten, hormonrezeptor-positiven Brustkrebs zu entwickeln.
Mechanismen der Toxizität
Wissenschaftler verstehen zunehmend, wie Mikroplastik und Plastik-Chemikalien schädigen:
- Zelluläre Aufnahme
Partikelförmige Kunststoffe können oxidativen Stress, Zelltod und Entzündungen induzieren sowie den Stoffwechsel und die Immunfunktion stören. Besonders besorgniserregend sind Nanoplastik-Partikel kleiner als 1 Mikrometer, die in Zellen eindringen können.
- Systemische Effekte
Studien an Tiermodellen und menschlichen Zellen haben berichtet, dass partikelförmige Kunststoffe toxische Wirkungen auf Nieren- und Herz-Kreislauf-Zellen haben, die durch das Vorhandensein anderer Umweltkontaminanten wie Schwermetalle verstärkt werden. Mikroplastik-Exposition kann die Darmflora stören, Spermienqualität und Testosteron reduzieren sowie Lernen und Gedächtnis beeinträchtigen.
Regulatorische Reaktionen und Lösungsansätze
Die Europäische Union hat 2024 aktualisierte Richtlinien für die Nutzen-Risiko-Bewertung von Phthalaten in medizinischen Geräten verabschiedet. Diese decken karzinogene, mutagene, reproduktionstoxische und endokrin wirksame Eigenschaften ab.
Zusätzlich haben regulatorische Behörden wie die US-FDA Bedenken über das Auslaugen von Mikroplastik oder Chemikalien in Dialysesysteme geäußert.
Dringende Forschungsprioritäten
Die Wissenschaftsgemeinschaft identifiziert mehrere kritische Bereiche:
- Entwicklung Polymer-freier medizinischer Materialien
- Verbesserung der Filtrationstechnologien für Dialyse-Systeme
- Langzeit-Kohortenstudien zu chronischen Gesundheitseffekten
- Standardisierung der Mikroplastik-Analytik in medizinischen Anwendungen
Alternative Materialien
Vielversprechende DEHP-Alternativen für medizinische Geräte umfassen:
- TOTM (Trioctyl-Trimellitat) – ein sichererer Weichmacher
- DINCH (Diisononylester) – biologisch abbaubarer Ersatzstoff
- ESBO (Epoxidiertes Sojaöl) – auf Pflanzenbasis
- PVC-freie Alternativen wie Polyethylen, Polypropylen und Silikon – völlig andere Kunststofftypen ohne schädliche Weichmacher
Was Patienten und Mediziner wissen sollten
Für Patienten:
- Informieren Sie sich über die verwendeten Materialien bei medizinischen Behandlungen
- Fragen Sie nach DEHP-freien Alternativen, wenn möglich
- Beachten Sie, dass "DEHP-frei" nicht automatisch "phthalatfrei" bedeutet
Für Mediziner:
- Berücksichtigen Sie die kumulative Exposition, besonders bei Langzeitpatienten
- Bevorzugen Sie biokompatible Materialien mit niedrigerer Chemikalien-Freisetzung
- Dokumentieren Sie Expositionsquellen für vulnerable Patientengruppen
Fazit: Ein Weckruf für die Medizin
Die Evidenz ist eindeutig: Mikroplastik und Plastik-Chemikalien stellen eine reale und messbare Bedrohung für die Gesundheit dar, besonders für vulnerable Patientengruppen. Die Studie zeigt, dass die Beseitigung von Expositionen gegenüber BPA und DEHP in Ländern mit einem Drittel der Weltbevölkerung etwa 600.000 Leben gerettet hätte.
Zusätzlich zeigen aktuelle Biomonitoring-Daten der EPA alarmierende Trends bei Abbauprodukten von Weichmachern im menschlichen Körper:
- DEHP-Abbauprodukte: Median 14 μg/L im Urin, nachweisbar bei 58% aller untersuchten Personen
- DBP-Abbauprodukte: Median 20 μg/L im Urin, nachweisbar bei 96% der Probanden (DBP = Dibutylphthalat, ein weiterer Weichmacher)
- BBzP-Abbauprodukte: Median 6 μg/L im Urin, nachweisbar bei 98% der Probanden (BBzP = Benzylbutylphthalat, verwendet in Bodenbelägen und Tapeten)
Diese Abbauprodukte (Metabolite) entstehen, wenn der Körper die ursprünglichen Chemikalien verarbeitet und über den Urin ausscheidet – sie sind ein Beweis für die Belastung des Organismus.
Die medizinische Gemeinschaft steht vor der Herausforderung, den Nutzen lebensrettender Kunststoffe gegen ihre unbeabsichtigten Gesundheitsrisiken abzuwägen. Die Lösung liegt nicht im Verzicht auf diese essentiellen Materialien, sondern in der beschleunigten Entwicklung sichererer Alternativen und strengerer Kontrollen.
Der Handlungsbedarf ist dringend. Jeder Tag, den wir mit der Implementierung sichererer medizinischer Materialien warten, bedeutet kontinuierliche Exposition für Millionen vulnerable Patienten weltweit. Die Zeit für halbherzige Maßnahmen ist vorbei – wir brauchen eine umfassende Transformation der Art, wie wir medizinische Kunststoffe entwickeln, testen und einsetzen.
Wir forschen für Ihre Gesundheit!




