
Mikroplastik und Leachables
20. Juli 2025
Mikroplastik und Theory of Change
24. Juli 2025Wasserlösliche Polymere:
Unsichtbare Gefahr für unsere Süßwasserökosysteme
Wasserlösliche Polymere sind aus unserem modernen Leben nicht mehr wegzudenken. Sie begegnen uns täglich in Waschmitteln, Kosmetika, Farben und industriellen Prozessen. Doch während diese synthetischen Makromoleküle unser Leben erleichtern, stellen sie eine wachsende und oft übersehene Bedrohung für aquatische Ökosysteme dar – insbesondere für die empfindlichen Süßwasserorganismen unserer Seen, Flüsse und Bäche.
Was sind wasserlösliche Polymere?
Wasserlösliche Polymere sind große Moleküle, die aus sich wiederholenden Untereinheiten bestehen und sich vollständig in Wasser auflösen können. Herkömmliche Kunststoffe, die bei einer Größe kleiner 5mm als Mikroplastikbezeichnet werden, verbleiben als sichtbare Partikel in der Umwelt. Wasserlösliche Polymere hingegen verschwinden im Gegensatz dazu scheinbar spurlos im Wasser.
Zu den häufigsten Vertretern gehören:
- Polyethylenglykol (PEG) – verwendet in Kosmetika und Pharmazeutika
- Polyvinylalkohol (PVA) – Hauptbestandteil von Waschmittel-Pods
- Polyacrylsäure – eingesetzt in Waschmitteln als Wasserenthärter
- Carboxymethylcellulose – Verdickungsmittel in Lebensmitteln und Kosmetika

In vielen Waschreinigungssubstanzen sind wasserlösliche Polymere, sie dienen oft dazu, dass ein Produkt „mikroplastikfrei“ gekennzeichnet wird. Polymere werden trotzdem verwendet © Freepik (lizensiert)
Diese Substanzen gelangen über Abwässer, industrielle Einleitungen und landwirtschaftliche Abflüsse in unsere Gewässer.
Der unsichtbare Eintrag in die Umwelt
Die Problematik wasserlöslicher Polymere liegt paradoxerweise in ihrer Haupteigenschaft: ihrer Wasserlöslichkeit. Während herkömmliche Kunststoffe durch Kläranlagen zumindest teilweise zurückgehalten werden oder mit innovativen Technologien wie Wasser 3.0 PE-X® zurückgehalten werden können, passieren wasserlösliche Polymere diese Barrieren nahezu ungehindert. Studien zeigen, dass konventionelle Kläranlagen nur etwa 20-60% dieser Substanzenentfernen können, wobei die tatsächlichen Entfernungsraten je nach Polymer-Typ, Kläranlagentechnologie und -betrieb erheblich variieren können.
Besonders problematisch ist die Verwendung von PVA in Waschmittel-Pods. Diese lösen sich zwar vollständig in der Waschmaschine auf, doch das Polymer gelangt über das Abwasser direkt in die Umwelt. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Europa jährlich mehrere tausend Tonnen PVA über diesen Weg in Gewässer eingetragen werden.
Auswirkungen auf Süßwasserorganismen
Direkte toxische Effekte
Obwohl wasserlösliche Polymere oft als "biologisch inert" beworben werden, zeigen neuere Forschungen ein anderes Bild. Bei verschiedenen Süßwasserorganismen wurden bereits schädliche Auswirkungen nachgewiesen:
Daphnien (Wasserflöhe): Diese wichtigen Filtrierer reagieren besonders empfindlich auf wasserlösliche Polymere. Bereits bei Konzentrationen von 10-100 mg/L zeigen sich Beeinträchtigungen der Fortpflanzung und des Wachstums. Da Daphnien eine Schlüsselrolle im aquatischen Nahrungsnetz spielen, können sich diese Effekte auf das gesamte Ökosystem auswirken.
Algen: Verschiedene Algenarten zeigen bei Exposition gegenüber PEG und PVA reduzierte Photosyntheseleistung und verlangsamtes Wachstum. Dies ist besonders besorgniserregend, da Algen die Basis der aquatischen Nahrungskette bilden.
Fische: Bei Zebrabärblingen wurden entwicklungstoxische Effekte beobachtet, wenn sie wasserlöslichen Polymeren ausgesetzt waren. Embryos zeigten Missbildungen und verzögerte Entwicklung.

Auswirkungen von wasserlöslichen Polymeren auf Tier- und Pflanzenwelt sowie die menschliche Gesundheit sind immer noch Teil intensiver Forschung, jedoch seit Jahren ohne Handlungsempfehlung oder Vermeidungsstrategie. Dabei weiß man heute schon, dass diese Substanzen nicht natürlichen Ursprungs die Umwelt schädigen © Freepik (lizensiert)
Indirekte ökologische Auswirkungen
Neben direkten toxischen Effekten können wasserlösliche Polymere auch indirekt das Ökosystem beeinflussen:
- Veränderung der Wassereigenschaften: Polymere können die Viskosität und Oberflächenspannung des Wassers verändern, was die Sauerstoffaufnahme und den Gasaustausch beeinträchtigen kann.
- Bioakkumulation: Obwohl wasserlöslich, können sich einige Polymere in Organismen anreichern und über die Nahrungskette weitergegeben werden.
- Komplexbildung: Polymere können mit anderen Schadstoffen Komplexe bilden und deren Verfügbarkeit und Toxizität verändern.
Herausforderungen bei der Bewertung der (Öko-) Toxizität
Die Bewertung der Umweltauswirkungen wasserlöslicher Polymere stellt uns, wie auch viele anderen Wissenschaftler:innen, vor besondere Herausforderungen:
- Analytische Schwierigkeiten: Der Nachweis und die Quantifizierung wasserlöslicher Polymere in Umweltproben ist technisch anspruchsvoll und kostenintensiv. Hier haben wir bereits im Projekt UPSTREAM Manualsentwickelt, die den Nachweis ermöglichen (quantitativ und qualitativ).
- Vielfalt der Substanzen: Die große Anzahl verschiedener wasserlöslicher Polymere mit unterschiedlichen Eigenschaften macht eine umfassende Risikobewertung komplex.
- Langzeiteffekte: Da diese Polymere erst seit wenigen Jahrzehnten in größeren Mengen verwendet werden, sind Langzeitauswirkungen noch nicht vollständig verstanden.
Lösungsansätze und Alternativen – Unterschiedliche Anforderungsprofile: neue Wege
Die Entfernung von Polyvinylalkohol aus Abwässern stellt aufgrund der komplexen Molekularstruktur und hohen biologischen Resistenz dieser wasserlöslichen Kunststoffe eine besondere Herausforderung dar. Im Projekt INVEST BW erforschen wir neue Verfahren zur Reduktion der PVA-Belastungen aus hochbelastetem industriellem Abwasser. Es handelt sich um ein Kooperationsprojekt mit der abcr GmbH.
Im Projekt UPSTREAM verlagern wir die Fragestellung in den Kontext kommunale Kläranlagen. Hier steht die Erforschung neuer Technologiekombinationen zur Entfernung von Mikroplastik, PVA und PFAS im Vordergrund. Wir setzen in beiden Fällen auf Hybridkieselgel-Mischungen, die in der Lage sind, in Kombination mit weiteren Technologien die angestrebten Entfernungseffizienzen von über 80% im kommunalen Bereich und mehr als 90% im industriellen Bereich zu liefern.
Auch regulatorische Maßnahmen rücken in den Vordergrund – hinken aber der Notwendigkeit des Handelns hinterher, dazu gehören:
- Erweiterte Registrierungspflichten: Verschärfung der Anforderungen für die Umweltbewertung wasserlöslicher Polymere vor der Markteinführung.
- Grenzwerte für Einleitungen: Festlegung spezifischer Grenzwerte für wasserlösliche Polymere in industriellen und kommunalen Abwässern.
- Verbraucher:innenverantwortung
- Bewusste Produktwahl: Verbraucher:innen können durch die Wahl polymerfreier oder -armer Produkte ihren Beitrag leisten.
- Richtige Dosierung: Überdosierung von Waschmitteln und anderen polymerhaltigen Produkten vermeiden.
Zu spät ist es nicht, aber schlimmer werden sollte es auch nicht! Es ist Zeit zum Handeln
Wasserlösliche Polymere mögen unsichtbar sein, aber ihre Auswirkungen auf Süßwasserökosysteme sind real und potenziell weitreichend. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass diese Substanzen nicht so harmlos sind, wie lange angenommen wurde.
Es bedarf einer konzertierten Anstrengung von Wissenschaft, Industrie, Regulierungsbehörden und Verbraucher:innen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Nur durch frühzeitiges Handeln können wir verhindern, dass wasserlösliche Polymere zu einem weiteren unsichtbaren Umweltproblem werden, das unsere wertvollen Süßwasserökosysteme dauerhaft schädigt.
Die Natur kennt keine unsichtbaren Schadstoffe – alles, was wir in die Umwelt einbringen, hat Konsequenzen. Es ist an der Zeit, dass wir auch bei wasserlöslichen Polymeren nach dem Vorsorgeprinzip handeln und nachhaltige Alternativen entwickeln, bevor es zu spät ist.
Auch Sie können unsere Forschungs- und Bildungsarbeit unterstützen und zum/zur Wirkungsbeschleuniger:in werden. Mit Spenden und Sponsoring können wir deutlich mehr und schneller agieren. Klingt spannend?