
PFAS im Alltag
13. August 2025
Mikroplastik Mapping und Stadt-Land-Fluss
19. August 2025Kunstrasen versus Hybridrasen: Die unterschätzte Mikroplastik-Belastung ohne Vermeidungsstrategien
Die wissenschaftliche Evidenz der letzten Jahre belegt eindeutig: Kunstrasenplätze ohne entsprechende Vermeidungsstrategien sind eine massive Quelle der Mikroplastik-Verschmutzung. Während Hybridrasen als vermeintlich nachhaltigere Alternative beworben wird, zeigen aktuelle Studien komplexe Umweltauswirkungen beider Systeme. Die kritische Analyse der Bewässerungs- und Entwässerungszyklen offenbart systematische Schwachstellen, durch die Mikroplastik ungehindert in aquatische Ökosysteme gelangt.
Die wissenschaftlich dokumentierte Mikroplastik-Krise
Die wegweisende Studie von de Haan et al. (2023), veröffentlicht in Environmental Pollution, dokumentierte erstmals systematisch die Präsenz von Kunstrasenfasern in Oberflächengewässern und identifizierte künstliche Rasenoberflächen als bedeutende Quelle der Plastikbelastung aquatischer Umgebungen. Die Forschungsgruppe der Universität Barcelona fand heraus, dass bis zu 15% der Plastikteile größer als 5 mm in schwimmenden Umweltproben von Kunstrasenfasern stammen.
Die quantitativen Befunde sind alarmierend: Die Studie maß bis zu 20.000 Kunstrasenfasern pro Tag in Flusswasser und mehr als 200.000 Fasern pro Tag in Meeresoberflächengewässern in Küstennähe. Die Kunstrasenfasern bestehen hauptsächlich aus Polyethylen und Polypropylen und wurden vorwiegend in küstennahen Bereichen großer Städte wie Barcelona gefunden.
Systematische Emissionspfade in aquatische Systeme
Eine umfassende systematische Übersicht von Ryan-Ndegwa et al. (2024) in Environmental Health Insights dokumentiert, dass Kunstrasen für 12% bis 50% der globalen Mikroplastik-Verschmutzung verantwortlich sein könnte. Die EU-weiten Befunde zeigen, dass in Europa jährlich etwa 16.000 Tonnen Gummigranulat aus Kunstrasenplätzen in die Umwelt gelangen, primär durch Regenwasserabfluss.
Die Forschung von Beyond Plastics (2024) dokumentiert, dass jeder Kunstrasenplatz jährlich 0,5 bis 8,0% seiner Halme verliert, was 200 bis 3.200 Pfund Plastikabfall pro Jahr entspricht. Diese Mikroplastikpartikel migrieren über Luft, Boden, Wasserwege und Ozeane in die Umwelt.
Bewässerungs- und Abwassersysteme als Verschmutzungsvektor
Die aktuelle Forschung von 2024 zu Nano- und Mikroplastik-Generierung durch Kunstrasensysteme zeigt, dass mechanischer Stress, UV-Strahlung und Witterungsprozesse zur Fragmentierung synthetischer Grasfasern und Füllmaterialien beitragen und Partikel von Nanometer- bis Millimeter-Größen erzeugen. Diese Nano- und Mikroplastikpartikel werden in Entwässerungssystemen und umgebenden Böden in der Nähe von Sportanlagen nachgewiesen.
Das Resultat: Kontaminationen des Wasserkreislaufs
Bei der Bewässerung und dem natürlichen Regenwasserabfluss transportieren die Wassermassen kontinuierlich Mikroplastikpartikel von der Spielfeldoberfläche. Eine Studie prognostiziert, dass in Dänemark drei bis fünf Tonnen Granulat pro Jahr zu jedem Kunstrasenfußballplatz hinzugefügt werden, wovon die Hälfte in der Umwelt landet. In Schweden wird die Menge der Mikroplastikpartikel, die pro Kunstspielfeld jährlich ins Meer und in Gewässer gelangen, auf 70 kg (oder 293 Millionen Partikel) geschätzt.
Die Partikel werden auf verschiedene Weise freigesetzt: über gepflasterte Bereiche um das Feld herum (transportiert über Schuhe und Kleidung oder mit gereinigtem Schnee abgelagert) und gelangen anschließend über Gullys in die Kanalisation.
Hybridrasen: Keine Lösung der Mikroplastik-Problematik
Hybridrasen wird oft als umweltfreundliche Alternative beworben. Dabei wird Kunstrasen zur Struktur und Verstärkung von gewöhnlichem Gras eingesetzt. Die wissenschaftliche Analyse von KIMO (2020) zeigt jedoch, dass dabei Vorsicht geboten ist. Der natürliche Rasen darf niemals zu kurz geschnitten werden, andernfalls kann es zu einer Zerkleinerung der synthetischen Fasern kommen.
Die systematische Analyse zeigt außerdem, dass Hybridrasensysteme die fundamentale Mikroplastik-Problematik nicht lösen, sondern lediglich modifizieren. Die synthetischen Fasern unterliegen denselben Degradationsprozessen wie bei reinem Kunstrasen, allerdings in komplexerer Wechselwirkung mit organischen Komponenten.
So agiert die Politik: EU-Regulierung und wissenschaftliche Politikempfehlungen
Die Europäische Union erließ im September 2023 ein Verbot des Verkaufs von Produkten mit absichtlich zugesetzten Mikroplastikpartikeln, einschließlich granulärer Kunstrasenfüllungen. Diese neue EU-Verordnung gibt Platzbesitzern acht Jahre Zeit für den Übergang von mikroplastikhaltigen Füllmaterialien. Es wird geschätzt, dass diese Verordnung die EU-Wirtschaft über 20 Jahre etwa 11,5 bis 20 Milliarden US-Dollar kosten wird, während die Freisetzung von 500.000 Tonnen Mikroplastik-Verschmutzung verhindert wird.
Was bisher fehlte: Wissenschaftliche Bewertung der Gesundheitsrisiken
Die systematische Übersicht von 2024 identifiziert Mikroplastikpartikel als feste Plastikpartikel kleiner als 5 mm, wobei Gummigranulat-Füllstücke typischerweise weniger als 1 mm Durchmesser haben und 50% der untersuchten Kunstrasenfasern kleiner als 5 mm waren, was beide als Mikroplastikquellen klassifiziert.
Die Forschung dokumentiert polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs), Schwermetalle und andere flüchtige organische Verbindungen in Kunstrasenproben, die potenziell gesundheitsschädlich sind. Die mögliche Exposition erfolgt durch Inhalation flüchtiger Substanzen, versehentliche Aufnahme von Gummigranulat oder dermale Absorption durch Schnitte und Abschürfungen während sportlicher Aktivitäten.
Persistente organische Schadstoffe in Kunstrasensystemen: PFAS-Kontamination als zusätzliche Bedrohung
Aktuelle Forschung zeigt, dass PFAS in den Plastikhalmen von Kunstrasensportplätzen lauern. PFAS sind eine Gruppe von über 10.000 Industriechemikalien, die für ihre negativen Gesundheits- und Umweltauswirkungen bekannt sind, einschließlich Krebs, Immunotoxizität und Fruchtbarkeitsproblemen.
Die kombinierte Toxizität von PFAS und Mikroplastikpartikeln erzeugt stärkere toxische Effekte bei wirbellosen Tieren als bei alleiniger Wirkung und führt zu Entwicklungsstörungen, verzögerter Geschlechtsreife und Wachstumsstörungen.
Den Daten auf der Spur: Quantifizierte Umweltauswirkungen ohne Vermeidungsstrategien
Die Studie von de Haan et al. (2023) zeigt, dass bis zu 20.000 Fasern pro Tag durch den untersuchten Fluss flossen und bis zu 213.200 Fasern pro km² auf der Meeresoberfläche küstennaher Gebiete schwammen. Die Forschung dokumentiert, dass bis zu 300 Millionen Fasern jährlich von einem einzigen Spielfeld verloren gehen und in Flüssen und Meeren landen.
Laborstudien demonstrieren, dass von Kunstrasen stammende Nano- und Mikroplastikpartikel Bodenmikrobengemeinschaften, aquatische Organismen und potenziell die menschliche Gesundheit durch verschiedene Expositionswege negativ beeinflussen können.
Die Forschung zeigt, dass Kunstrasen, abgesehen von Auswirkungen auf städtische Biodiversität, städtischen Abfluss, Wärmeinselbildung und das Auslaugen gefährlicher Chemikalien, eine bedeutende Quelle der Plastikverschmutzung natürlicher aquatischer Umgebungen darstellt.
Technologische Vermeidungsstrategien und deren Grenzen: Filtrationssysteme liefern nur unvollständige Lösung
Die aktuelle Forschung zu Schadensbegrenzungsansätzen umfasst Hybridrasen, Partikelrückhaltesysteme und verbesserte Wartungsprotokolle, wobei sich die entstehende Forschung auf die Entwicklung neuartiger, umweltfreundlicher Materialien als Alternativen zu herkömmlichen synthetischen Rasenkomponenten konzentriert.
Bisherige Filtersysteme können jedoch nur einen Teil der Mikroplastik-Emissionen zurückhalten, da sie primär Drainagewasser behandeln, aber nicht die durch Wind, Anhaftung an Kleidung oder Oberflächenabfluss transportierten Partikel erfassen.
Fazit: Es braucht mehr wissenschaftlich fundierte Politikempfehlungen
Hybridrasen löst die fundamentalen Mikroplastik-Probleme nicht, sondern verlagert sie lediglich in komplexere Systemzusammenhänge. Die EU-Regulierung ab 2031 zeigt die Dringlichkeit des Handelns, jedoch sind bereits heute umfassende Vermeidungsstrategien erforderlich.
Die wissenschaftliche Evidenz fordert einen paradigmatischen Wandel in der Sportstättenplanung: Nur durch die konsequente Implementierung von sinnstiftenden Vermeidungs- und Entfernungslösungen, dem Einsatz alternative Materialien und letztendlich den schrittweisen Übergang zu umweltverträglicheren Lösungen kann die systematische Kontamination aquatischer Ökosysteme durch Mikroplastik verhindert werden.
Ohne diese proaktiven Maßnahmen wird die Kunstrasen-bedingte Mikroplastik-Belastung weiter zunehmen – mit unabsehbaren Folgen für die marine Biodiversität und die menschliche Gesundheit.