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1. Juni 2023Chemikalien für die Ewigkeit – PFAS (1/2)
5. Juli 2023Kunstrasenplätze – eine Quelle für Mikroplastik in der Umwelt
Das Runde soll ins Eckige: Was sind die Vorteile von Kunstrasen gegenüber Naturrasen?
Naturrasen ist aus ökologischer Sicht deutlich überlegen. Er kann die natürlichen Bodenfunktionen unterstützen und zusätzlich helfen Schadstoffe abzubauen. Durch die Wasseraufnahme und Verdunstung hat er auch einen kühlenden Effekt im Sommer. Kunstrasen kann hier nicht mithalten, da er keinerlei ökologische Funktion bietet, Flächen versiegelt und sich im Sommer stark aufheizt. Auch bietet der Naturrasen die besseren Spieleigenschaften und hat geringere Anschaffungskosten.
Doch warum wird der Kunstrasen dem Naturrasen vorgezogen? Dies liegt daran, dass der Naturrasen nur einer begrenzten Nutzungsdauer standhält, bevor er die durch die Nutzung entstehende Schäden nicht mehr regenerieren kann. Diese liegt bei ca. 800 Stunden pro Jahr. Wird eine höherer Nutzungsdauer benötigt, ist Kunstrasen unerlässlich. Auch bei starkem Regen kann Kunstrasen im Gegensatz zu Naturrasen problemlos genutzt werden und hat einen geringeren Pflegeaufwand.
Derzeit werden in Deutschland rund 9000 Kunstrasenplätze betrieben, überwiegend zur für Fußball, aber auch Sportarten wie Hockey, Tennis, American Football oder Rugby greifen aus Kunstrasenplätze zurück. Auch im Schulsport kommen sie zur Anwendung. Für die Durchschnittliche Nutzung von 1800 Stunden pro Jahr wären drei Naturrasenplätze nötig. In einigen Fällen kann die Nutzungsdauer sogar über 2500 Stunden pro Jahr und Kunstrasenplatz betragen.
Aufbau des Kunstrasens
Kunstrasenplätze bestehen aus verschiedenen Schichten und einem Infill. Auf dem Baugrund wird eine ungebundene Trageschicht inklusive Drainagesystem (zum Ableiten von Regen und Stauwasser) aufgebracht, die der Nivellierung (Ausgleichen des Bodens) und der Dämpfung dient. Darauf wird eine elastische Trageschicht aufgebracht, meist bestehend aus Altreifengranulat gebunden mit einem auf Polyurethan basierten Bindemittel. Eine Alternative hierzu ist die Verwendung einer Asphaltschicht mit einer aufgebrachten Elastikschicht, auch bestehend aus Altreifengranulat und Bindemittel. Diese Schicht simuliert den Federkomfort von Naturrasen.
Auf diesem dämpfenden Unterbau wird der eigentliche Kunstrasen aufgebracht. Dieser besteht aus Polyethylen- oder Polypropylen-Fasern, welche die Grashalme simulieren, und in einem Gewebe bestehend aus Polyethen oder Polypropylen oder Polyamid verklebt sind. Sie werden in langen Bahnen auf der Elastikschicht ausgerollt und angebracht.
Zur Fixierung des Rasens, z.B. gegen Wind, wird dieser mit Sand als Infill bzw. Einstreu beschwert. Üblicherweise werden 20 kg / m³ auf den Rasen gegeben. Zu Verbesserung der Spieleigenschaften können zusätzlich weitere Performance-Infills zugegeben werden. Zu besonders guten Spieleigenschaften führen Kunststoffgranulate basierend auf SBR (Styrol-Butadien-Gummi, geschredderte Altreifen), EPDM (Ethylen-Propylen-Dien-Monomer-Kautschuk) oder TPE (Thermoplastische Elastomere). Die Menge an Performance-Infill beträgt laut Fraunhofer UMSICHT 2021 zwischen 1,2 - 12,3 kg / m², durchschnittlich 7,5 kg/m² und somit 17 -95 t pro Kunstrasenplatz. Als ökologische Alternative kann auch Kork verwendet werden.
Die Nutzungsdauer der Elastikschicht bzw. Elastischen Trageschicht beträgt 30-40 Jahre, bevor sie erneuert werden muss. Der Kunstrasenteppich selbst kann 12-15 Jahre genutzt werden. Nach der Nutzungsdauer müssen diese entsorgt bzw. optimalerweise recycelt werden, was eine weiter Herausforderung des Kunstrasen darstellt.
Mikroplastikemissionen und Transport
Bei Begehungen der Kunstrasenplätze fällt deutlich auf, dass das Infill-Granulat und Kunstrasenfasern in der gesamten Platzumgebung zu finden sind. Durchschnittlich müssen pro Kunstrasenplatz jährlich 2.2 t Performance-Infill auf Kunststoffbasis nachgefüllt werden. Wohin verschwindet dieses? Was passiert mit den Kunstrasenfasern, die sich aus dem Kunstrasenteppich lösen?
Ein Teil des Nachfüllbedarfs des Performance-Infills kommt von der Verdichtung während der Nutzung, wodurch es seine Funktion verliert. Erhebliche Teile werden auf verschiedenen Wegen in die Umwelt ausgetragen. Besonders bei Feuchte kann das Infill-Granulat an Schuhen und Kleidung haften und so in die Platzumgebung ausgetragen werden. Beim Beseitigen von Laub und Schnee und sonstigen Pflegarbeiten des Kunstrasens wird zusätzlich Infill ausgetragen, da es sich bei den Reinigungsarbeiten nicht von Schnee oder Laub trennen lässt.
Wind und Niederschlag sorgen für einen weiteren Austrag. Bereits bei 18 km/h Windgeschwindigkeit können Kunststoff-Infill-Granulate von Wind ausgetragen werden. Besonders bei starkem Wind und Stürmen kommt es so zu deutlichen Verlusten und einem Transport über weite Strecken. Auch Starkregen führt zu hohen Infill-Verlusten durch Oberflächenabfluss, da dieses vom Platz gespült wird.
Kunstrasenfasern aus dem Kunstrasenteppich sind eine die zweite Quelle für Mikroplastik. Durch die Nutzung lösen sich mit der Zeit die Kunststofffasern aus dem Kunstrasenteppich. Schätzungen reichen von 0.2 bis 1.3 t Faserverlust pro Jahr und Kunstrasenplatz.
Ein Teil des ausgetragenen Mikroplastiks landet durch Reinigungsarbeiten im Müll und somit nicht in der Umwelt. Der Rest gelangt in die Entwässerungssysteme oder über Wind und Oberflächenabfluss in die umliegenden Böden. Je nach Vorliegen von Trenn- oder Mischkanalisation gelangt das Mikroplastik aus den Entwässerungssystemen in die Kläranlage oder direkt in die Umwelt. Studien zeigen, dass sich das Mikroplastik in den umliegenden Flächen ansammelt, was zu einem deutlichen Anstieg der Belastung in den umliegenden Böden führt. Ein weiterer Teil des ausgetragenen Mikroplastiks kann über Wind und Wasser über weite Strecken transportiert werden und sich so in der gesamten Umwelt verteilen.
Belastbare Daten über die Austragsmengen der verschiedenen Pfade gibt es derzeit noch nicht, es handelt sich um Schätzungen, die je nach Studie stark voneinander abweichen. Die über Feldversuche oder Massenbilanzen ermittelten Werte reichen von insgesamt 300 kg / Kunstrasenplatz und Jahr bis zu 5000 kg / Kunstrasenplatz und Jahr.
Man nimmt an., dass Kunstrasenplätze nach Reifenabrieb die zweitgrößte Quelle für direkten Mikroplastikeintrag in die Umwelt sind. Bewiesen oder bewertet ist da aber noch nichts.
Ausweg ohne Mikroplastik? Emissionen messen und Kunstrasenplätze nachhaltiger gestalten
Die Versuche des Rückhalts von Mikroplastik auf Kunstrasenplätzen stellen sich als schwer umsetzbar heraus. Filtrationsvorrichtungen können Mikroplastik aus dem Drainagewasser zurückhalten, jedoch nicht das Mikroplastik das durch Wind, Oberflächenabfluss oder Anhaftung an die Kleidung ausgetragen wird. Entsprechende Abklopf- und Reinigungsvorrichtungen zum Reinigen der Kleidung nach der Nutzung sind eine weitere Möglichkeit. Zusätzlich können Barrieren (Mauern oder Palisaden) vom Wind aufgewehtes Plastik teilweise auffangen. Auch angepasste Strategien für das Beseitigen von Laub und Schnee können den Mikroplastikaustrag verringern. Hierdurch kann die Mikroplastikfreisetzung zwar reduziert, aber nicht verhindert werden. Daher sollte der Fokus auf alternativen, nachhaltigen Materialien beim Kunstrasenbau gesetzt werden.
Die einfachste Möglichkeit die Nachhaltigkeit von Kunstrasenplätzen zu erhöhen, ist der Verzicht auf kunststoffbasiertes Performance-Infill. Dieses kann durch umweltfreundlicheres Kork-Infill ersetzt werden. Auch besteht die Möglichkeit nur Sand als Infill zu verwenden, wodurch jedoch die Spieleigenschaften des Kunstrasens verschlechtert werden. Dies verhindert jedoch nicht die Mikroplastikfreisetzung durch den Faserverlust des Kunstrasens selbst. Hier sind die Hersteller dazu angehalten, diesen robuster gegen Abrieb zu gestalten oder auf natürliche, umweltfreundliche Materialien zu setzen.
Gesetze oder Regulationen zur Begrenzung der Mikroplastikemission von Kunstrasenplätzen gibt es derzeit keine. In der EU gibt es derzeit Diskussionen über ein Verbot von kunststoffbasiertem Performance-Infill. Die Europäische Chemikalien Agentur ECHA empfiehlt ein Verbot von kunststoffbasiertem Infill mit einer 6-jährigen Übergangsfrist. Als besonders problematisch bewertet die ECHA das SBR-Granulat aus geschredderten Autoreifen, welches einen hohen Gehalt an verschiedenen Schadstoffen enthält. Aber auch EPDM und TPE können zahlreiche Schadstoffe enthalten. Die Kunstrasenfasern selbst sind derzeit nicht in der Diskussion berücksichtigt.
Doch wie kann oder soll man den Einfluss von Mikroplastikemissionen bewerten?
Um die Umweltgefährdung zu bewerten und effektive Maßnahmen gegen die Mikroplastikemissionen treffen zu können, ist es essenziell die Austragspfade besser zu verstehen und zu untersuchen. Dabei gilt es zu klären, wieviel Mikroplastik von Kunstrasenplätzen in die Umwelt abgegeben wird und aus den reinen Schätzungen in die reale, belastbare Datenerhebung zu wechseln.
Wir versuchen bei Wasser 3.0 mit unserer kostengünstigen Methode zum Nachweis von Mikroplastik (Wasser 3.0 detect), welche auch für Mikroplastik aus Kunstrasenplätze angewendet werden können, die Lücken zu schließen. Ein wichtiger Gratmesser ist hierbei den richtigen und effizienten Probennahme-Ort zu bestimmen, in welchen Bereichen und zu welcher Zeit die Proben genommen werden müssen. Mit Hilfe unserer Detektionsmethoden basierend auf neuartigen Fluoreszenzmarkern, ist es möglich Mikroplastik kostengünstig und vergleichbar zu detektieren und somit eine Transparente Datenlagen zu schaffen, als Grundlage für weitere Entscheidungen und effektive Vermeidungsstrategien. Denn nur wenn man Weiß über welche Wege wieviel Mikroplastik emittiert wird, können Vermeidungsstrategien implementiert und bewertet werden.
Fazit – Kunstrasen sind moderne Sportstätten, aber…
Aufgrund der hohen Nutzungsdauer und des geringeren Pflegeaufwandes werden Kunstrasenplätze als Sportstätten immer häufiger Naturrasen vorgezogen. Zahlreiche Studien belegen, dass Kunstrasenplätze hohe Mengen an Mikroplastik über den Verlust von kunststoffbasiertem Infill und den Mikroplastikfasern des „Rasens“ in die Umwelt freisetzen und somit zu einer hohen Umweltbelastung führen. Das Mikroplastik wird über Wind und Wasser transportiert gelangt in die umliegenden Böden oder Wasserwege. Da die Vorteile von Kunstrasenplätzen ein solch bedeutender Nachteil gegenüberstehen, stellt sich uns die Frage der Sinnhaftigkeit.
Es werden verschiedene bauliche Maßnahmen diskutiert, um den Mikroplastikaustrag zu reduzieren. Der Einsatz umweltfreundlicher und nachhaltiger Materialien für den Kunstrasenbau erscheint jedoch deutlich sinnhafter. Derzeit wird das Verbot von kunststoffbasiertem Performance-Infill auf europäischer Ebene diskutiert, die politischen Bemühungen sind jedoch verhalten. Aufgrund der hohen Mengen von Mikroplastik, die weiterhin Jahr für Jahr über Kunstrasenplätze in die Umwelt gelangen, sollte dies jedoch mit einer höheren Dringlichkeit geschehen. Denn einmal in der Umwelt, ist Mikroplastik nicht mehr zu entfernen und verbleibt dort aufgrund der Langlebigkeit Jahrzehnte bis Jahrhunderte.
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