
Mikroplastik im Rehbach
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24. Juni 2025Die Kreditkarten-Lüge: Warum das Marketing bei Mikroplastik mit falschen Zahlen operiert
"Wir essen pro Woche eine Kreditkarte!" – dieser Schlagzeile begegnet man überall, wenn es um Mikroplastik geht. Von Umweltorganisationen bis hin zu Filterhersteller-, Zahnbürsten-oder auch Radflaschen-Werbung...: Die vermeintlich schockierende Zahl von 5 Gramm Mikroplastik pro Woche wird wie ein Mantra wiederholt. Doch diese griffige Behauptung ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern wird systematisch vom Marketing missbraucht, um Produkte zu verkaufen und Spenden zu sammeln.
Die Geburt einer Marketing-Legende
Die berühmte "Kreditkarten-Studie" stammt aus dem Jahr 2019 und wurde vom WWF in Auftrag gegeben. Die University of Newcastle in Australien führte eine Meta-Analyse verschiedener Studien durch und kam zu dem Schluss, dass Menschen im globalen Durchschnitt etwa 5 Gramm Mikroplastik pro Woche konsumieren könnten – das entspricht ungefähr dem Gewicht einer Kreditkarte.
Das Problem beginnt bereits bei der Methodik: Die Studie basierte nicht auf direkten Messungen, sondern auf einer Zusammenfassung verschiedener kleinerer Studien (zum Beispiel Microplastics Everywhere, Landmark study links microplastics to serious health problems,oder Microplastics are invading our bodies. How severe is the damage?) mit unterschiedlichen Messmethoden, verschiedenen Definitionen von Mikroplastik und oft winzigen Stichprobengrößen. Viele der einbezogenen Studien untersuchten nur spezifische Lebensmittel oder bestimmte Regionen – eine globale Aussage daraus abzuleiten ist wissenschaftlich höchst problematisch.
Warum die 5-Gramm-Zahl irreführend ist
Wissenschaftler kritisieren die WWF-Studie aus mehreren Gründen:
- Methodische Schwächen: Die ursprünglichen Studien verwendeten verschiedene Analysetechniken, unterschiedliche Größendefinitionen für Mikroplastik und oft unzureichende Kontrollgruppen. Viele Messungen könnten durch Kontamination während der Probenentnahme verfälscht worden sein.
- Fehlende Validierung: Die 5-Gramm-Zahl wurde nie durch unabhängige, groß angelegte Studien bestätigt. Neuere, methodisch sauberere Untersuchungen kommen oft zu deutlich niedrigeren Werten.
- Regionale Unterschiede: Der angebliche "globale Durchschnitt" ignoriert massive regionale Unterschiede in der Mikroplastik-Belastung. Was in einem stark verschmutzten Küstengebiet gemessen wird, lässt sich nicht auf ländliche Gebiete mit sauberem Trinkwasser übertragen.
- Definition von Mikroplastik: Die Studien verwenden unterschiedliche Größenbereiche für Mikroplastik-Partikel. Manche zählen nur Teilchen ab 0,1 Millimeter, andere bereits ab 0,001 Millimeter – das macht einen enormen Unterschied in der Gesamtmenge.
Der Marketing-Missbrauch der falschen Zahlen
Die eingängige Kreditkarten-Metapher wurde schnell zum Lieblingswerkzeug verschiedener Interessensgruppen:
Umweltorganisationen nutzen die schockierende Zahl, um Aufmerksamkeit zu generieren und Spenden zu sammeln. Je dramatischer die Botschaft, desto größer die Resonanz – und die Bereitschaft zu spenden.
Wasserfilterhersteller und viele andere Produktanbieter werben aggressiv mit der Behauptung, ihre Produkte würden vor dem wöchentlichen "Kreditkarten-Verzehr" schützen. Dabei filtern die meisten Haushaltsfilter Mikroplastik gar nicht effektiv heraus.
Verpackungsindustrie verwendet die Zahlen paradoxerweise sowohl zur Rechtfertigung ("alle anderen sind auch schuld") als auch zur Bewerbung angeblich "mikroplastikfreier" Alternativen.
Medien greifen die eingängige Schlagzeile gerne auf, ohne die wissenschaftlichen Grundlagen zu hinterfragen. Ein komplexes Umweltproblem wird zu einem simplen, viralen Clickbaits reduziert.
Die Realität ist komplexer – und wichtiger
Das eigentliche Problem bei der Kreditkarten-Geschichte ist nicht nur, dass sie wissenschaftlich unsolide ist. Sie lenkt auch von den wirklich wichtigen Fragen ab:
Statt über fragwürdige Konsummengen zu diskutieren, sollten wir uns darauf konzentrieren, wo Mikroplastik tatsächlich herkommt und wie wir die Quellen reduzieren können. Die Hauptverursacher sind nicht mysteriöse Partikel in unserem Essen, sondern der Abrieb von Autoreifen, synthetische Textilien in der Waschmaschine und die unsachgemäße Entsorgung von Plastikabfällen.
Zudem ist die Gesundheitsgefahr von Mikroplastik noch längst nicht abschließend erforscht. Während Marketing-Botschaften Panik schüren, arbeiten Wissenschaftler daran herauszufinden, welche Partikelgrößen, -mengen und -arten tatsächlich problematisch sein könnten.
Was können Verbraucher:innen tun?
Anstatt auf teure Filteranlagen oder "mikroplastikfreie" Wunderprodukte hereinzufallen, können Verbraucher mit einfachen Maßnahmen ihren Mikroplastik-Fußabdruck reduzieren:
- Weniger Plastikverpackungen verwenden
- Beim Waschen synthetischer Kleidung die richtigen Waschparameter verwenden.
- Auf Kosmetika mit Mikroplastik und löslichen Polymeren verzichten
- Regional und unverpackt einkaufen, wenn und wo möglich.
Fazit: Mehr Wissenschaft, weniger Marketing
Die Geschichte der "Kreditkarten-Woche" zeigt exemplarisch, wie wissenschaftliche Unsicherheit von Marketing-Interessen ausgenutzt wird. Eine fragwürdige Zahl wird zur vermeintlichen Gewissheit stilisiert und dann kommerziell verwertet.
Echte Umweltpolitik braucht solide Daten, nicht griffige Soundbites. Statt auf Schockzahlen zu setzen, sollten wir uns auf nachgewiesene Quellen von Mikroplastik konzentrieren und dort ansetzen, wo wirkliche Verbesserungen möglich sind. Nur so kommen wir von der Marketing-Panik zu sinnvollen Lösungen für ein reales Umweltproblem. Die Wahrheit über Mikroplastik ist komplizierter als eine Kreditkarte pro Woche – aber sie ist auch wichtiger, als uns das Marketing weismachen will.
Und genau aus diesem Grund arbeiten wir tagtäglich an den Zahlen, Daten und Fakten. Sie können uns dabei helfen, in dem Sie Wirkungsbeschleuniger werden.