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20. Juli 2025Mikroplastik – Die Quantifizierung der Ungewissheit oder die Frage: Wie geht Krisen- und Risikomanagement mit Blick auf eine saubere Zukunft?
Die Mikroplastikproblematik hat sich zu einer der drängendsten Umweltherausforderungen unserer Zeit entwickelt. Während winzige Kunststoffpartikel längst in allen Bereichen der Umwelt nachweisbar sind – von den Ozeanen bis in unsere Lebensmittel – ringt die Politik um wirksame Lösungsstrategien. Die zentrale Frage lautet: Wie können wir das Risiko für Mensch und Umwelt minimieren, während wir gleichzeitig die enormen technischen und finanziellen Herausforderungen bewältigen?
Die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie als Wendepunkt
Ein entscheidender Schritt wurde im April 2024 vollzogen: Das Europäische Parlament verabschiedete die novellierte EU-Kommunalabwasserrichtlinie mit deutlicher Mehrheit. Diese Richtlinie markiert einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Mikroverunreinigungen und stellt kommunale Kläranlagen vor völlig neue Anforderungen.
Kläranlagen in Kommunen mit über 150.000 Einwohner:innen müssen künftig mit einer vierten Klärstufe zur Entfernung von Mikroverunreinigungen nachgerüstet werden. Diese Maßnahme zielt auf dreizehn Mikroschadstoffe ab; Mikroplastik und andere problematische Stoffe wie Arzneimittelrückstände und multiresistente Keime werden nicht behandelt.
Die Dimension dieser Aufgabe ist beträchtlich: Bislang können die meisten Kläranlagen in Deutschland Mikroplastik oder Mikroschadstoffe wie Arzneimittelrückstände nicht in ausreichender Menge aus dem Abwasser entfernen oder es findet nur eine Verlagerung des Problems statt. Die Nachrüstung wird Milliardeninvestitionen erfordern und technische Innovationen vorantreiben.
Monitoring und Analytik: Die Schwachstellen des Systems oder die Quantifizierung der Ungewissheit bei Mikroplastik
In der überarbeiteten Richtlinie heißt es, dass die Überwachung von Mikroplastik in Kläranlagen, die mehr als 150.000 Einwohner versorgen, zweimal pro Jahr durchgeführt werden muss. Und während technische Lösungen voranschreiten (Stichwort 4. Reinigungsstufe plus), offenbart sich ein kritisches Problem bei der Überwachung. Die Quantifizierung von Ungewissheit bei Mikroplastik-Studien offenbart gravierende methodische Defizite. Inkonsistente Messverfahren, unzureichende Stichprobengrößen und fehlende Standardisierung führen zu enormen Schwankungen in den Ergebnissen. Während manche Studien alarmierend hohe Konzentrationen melden, zeigen andere minimale Werte - ohne transparente Unsicherheitsanalysen bleiben Risikobewertungen spekulativ und politische Entscheidungen unbegründet.
In unseren Langzeitstudien zu Mikroplastikeinträgen über kommunales Abwasser fanden wir heraus, dass das Mindestintervall für die Mikroplastik-Probennahme zur Erfassung der jährlichen Emissionen zwei bis vier Probennahmen pro Monat betragen soll – deutlich mehr als zweimal pro Jahr. Um sowohl saisonale als auch monatliche Schwankungen zu erfassen, ist eine höhere Anzahl von Proben erforderlich. Diese Informationen liegen der EU vor. Trotzdem gab es bisher keine Anpassungen der EU-Kommunalabwasserrichtlinie.
Auch für das Bundesamt für Risikobewertung reichen die aktuellen EU-Vorgaben für das Monitoring nicht aus, um ein vollständiges Bild der Mikroplastikbelastung zu erhalten. Dies ist besonders problematisch, da eine effektive Risikobewertung auf zuverlässigen Daten basieren muss. Damit der Mikroplastik-Eliminationsprozess innerhalb der Abwasserbehandlung kontinuierlich erfolgen kann, setzen wir auf die Entwicklung einer einfachen Detektionsmethode für Mikroplastik. Diese Mikroplastik-Analytik ist bereits seit vielen Jahren im Langzeit-Monitoring im Einsatz und ist effizient wie kostengünstig und kann schnell transferiert werden in alle Ecken der Welt.
Politische Kontroversen und Finanzierungsfragen
Die Umsetzung der neuen Richtlinie ist von erheblichen politischen Spannungen begleitet. Ein zentraler Streitpunkt betrifft die Kostenverteilung: Die Arzneimittelhersteller wurden als Verursacher der Mikroschadstoffe identifiziert und sollen hier den größten Teil der Kosten für die Nachrüstung von Kläranlagen übernehmen. Ein Gutachten soll nun belegen, dass die EU-Kommission falsche Datengrundlagen für das Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegt hatte und zu Unrecht die Arzneimittelbranche als Hauptverursacher zur Kasse bittet.
Diese Kontroverse verdeutlicht die Komplexität des Risikomanagements: Wer trägt die Verantwortung für ein Problem, das durch multiple Quellen verursacht wird? Die Diskussion um die wissenschaftlichen Grundlagen zeigt zudem, wie wichtig eine solide Datenbasis für politische Entscheidungen ist.
Gesellschaftliche Wahrnehmung und Handlungsdruck
Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema ist beträchtlich: In der Bevölkerung in Deutschland lässt sich eine hohe Bekanntheit des Themas feststellen – zuletzt 95 % im aktuellen BfR-Verbrauchermonitor (02/2024). Diese hohe Sensibilisierung der Bevölkerung schafft politischen Handlungsdruck, kann aber auch zu übereilten Entscheidungen führen, wenn die wissenschaftlichen Grundlagen noch nicht ausreichend gefestigt sind.
Strategien für effektives Krisenmanagement
Angesichts der komplexen Herausforderungen sind mehrere Ansätze für ein wirksames Krisen- und Risikomanagement erforderlich, dazu gehören:
- Hotspot-Identifikation vor großflächiger Implementierung: Welche Rolle kommt Mikroplastik in kommunalen Kläranlagen zu und warum sollte man zuerst die Hotspots identifizieren und dann das Handeln planen? Dieser strategische Ansatz ermöglicht es, Ressourcen gezielt einzusetzen und Erfahrungen zu sammeln, bevor flächendeckende Maßnahmen ergriffen werden.
- Präventive Maßnahmen verstärken: Neben der nachgelagerten Behandlung in Kläranlagen sollten verstärkt Maßnahmen an der Quelle ergriffen werden. Die Mitgliedstaaten der EU wollen, dass der ungewollte Eintrag von Kunststoffgranulat in die Umwelt künftig vermieden und vermindert wird.
- Wissenschaftliche Grundlagen stärken: Die kontroversen Diskussionen um die Datengrundlagen der EU-Richtlinie zeigen, dass mehr Forschung zu Quellen, Verteilung und Auswirkungen von Mikroplastik notwendig ist.
Zukunftsperspektiven: Integrierte Lösungsansätze
Die Bewältigung der Mikroplastikproblematik erfordert einen integrierten Ansatz, der technische, politische und gesellschaftliche Dimensionen berücksichtigt. Erfolgreiche Beispiele wie unsere Langzeitstudien auf der Kläranlage in Landau oder auch die Arbeiten im Projekt EU REMEDIES zeigen, dass technische Lösungen verfügbar sind, aber ihre großflächige Implementierung Zeit, Geld und politischen Willen erfordert.
Die Herausforderung besteht darin, kurzfristige Risikominimierung mit langfristiger Nachhaltigkeit zu verbinden. Dies bedeutet einerseits, bewährte Technologien wie die vierte Klärstufe zügig zu implementieren, andererseits aber auch in Forschung und Entwicklung neuer, möglicherweise kostengünstigerer Verfahren zu investieren.
Fazit: Ein Marathon, kein Sprint
Das Management der Mikroplastikkrise ist ein langfristiger Prozess, der kontinuierliche Anpassungen erfordert. Die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie markiert einen wichtigen Meilenstein, aber die Umsetzung wird Jahre dauern und erhebliche Investitionen erfordern, ohne dass die Beseitigung von Mikroplastik in Angriff benommen wird.
Entscheidend für den Erfolg wird sein, ob es gelingt, technische Innovation, politische Steuerung und gesellschaftliche Akzeptanz miteinander zu verbinden. Die hohe öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema bietet eine Chance, die notwendigen Veränderungen voranzutreiben – vorausgesetzt, die politischen Entscheidungen basieren auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen und berücksichtigen die praktischen Herausforderungen der Umsetzung. Genau hier arbeiten wir – seit Jahren – Stakeholder-übergreifend, an Lösungen, für sauberes Wasser ohne Mikroplastik.
Das Mikroplastikproblem wird uns noch Jahre begleiten, aber mit einem durchdachten Krisen- und Risikomanagement können wir den Weg zu einer saubereren Zukunft erfolgreich beschreiten.